· Gloria / Kunstkritik / FersehturmFersehturmAusstellungseröffnung Fernsehturm: Gloria Mészáros - "Fern sehen"Der Fernsehturm, in dem wir die heutige Ausstellung eröffnen, ist ein Wahrzeichen Berlins. Er stellt nicht nur eine architektonische Leistung dar, sondern auch eine technische. Er ist Ausdruck unseres modernen Zeitalters, das mit Hilfe von Maschinen jeglicher Art die dem Menschen gesetzten physischen Grenzen erweitert. Überwunden werden auch die Grenzen von Zeit und Raum in Hinsicht auf die menschliche Wahrnehmung. Ein Fernsehturm dient tatsächlich dem Sehen in die Fernse - und das in zweifacher Hinsicht: als reine Aussichtsplattform aus ungewohnter Höhe, gleichsam aus der Vogellperspektive, und als Träger von Antennen und ähnlichen Gerätschaften; sie ermöglichen das häusliche Fernsehen, in dem Ereignisse rund um den Globus auf eine Mattscheibe projiziert werden. Auch die Ausstellung der Malerin Gloria Mészáros heißt "Fern sehen", aber wie Sie der getrennten Schreibweise des zweisilbigen Wortes entnehmen, bedeutet ihr Fernsehen etwas anderes - zumindest in ihren Gemälden. Man kann die Ferne räumlich-physisch definieren als etwas Äußeres, in weiter Distanz liegendes. Diese Distanz kann durch verschiedene Mittel aufgehoben werden - sei es, dass wir selbst uns dorthin bewegen, von den eigenen Füßen getragen, per Fahrzeug, Schiff, auf den mechanischen Schwingen des Flugzeugs oder - für wenige nur möglich - per Raumschiff, oder es wird uns durch elektronische Übertragung nahe gebracht. Die Ferne kann aber auch in uns liegen - als Raum der Sehnsucht, der Träume oder von etwas Überirdischem, das nur als Idee und Vorstellung existent ist. Eben dies meint die Künstlerin mit "Fern sehen", doch ihr Fernseher ist das Bild, die bemalte Leinwand, die den Blick in Welten öffnet, die der Imagination des Menschen entspringen. Gloria Mészáros stellt eine Reihe von Gemälden in Acryl aus, deren gemeinsames Merkmal nicht nur in ihrer harmonisch-bewegten Farbigkeit liegt, sondern auch in ihrer suggestiven Dreidimensionalität, ohne dass diese mit den und aus dem Alltagsleben vertrauten Räumen etwas gemein hätte. Mészáros' Werke befinden sich damit in einerm Zwischenbereich, der sich von der physischen Wirklichkeit losgelöst hat und neue Sphären verstößt, ohne die Erinnerung an die Realität ganz abzustreifen. In der Sprache der Kunstgeschichte bedeutet dies, dass die Künstlerin an Stelle einer abbildhaft-mimischen Darstellung eine abstrakt-symbolische Bildgebung gesetzt hat. Diese steht im Einklang mit ihrem Wunsch, in Räume vorzudringen, die uns nicht schon sinnlich vorgegeben sind, sondern die erst noch zu entdecken sind. Schon der Romatiker Caspar David Friedrich meinte, man müsse nicht nur das malen, was vor unserem Auge läge, sondern vor allem auch das, was in uns ist. Die Abstraktion als eigenständige ästhetische Kategorie kann sicherlich als die herausragende Leistung der Kunst im 20. Jahrhundert gelten - mit Auswirkungen weit in die Zukunft. Das abstrakte Element ist in den Gemälden von Gloria Mészáros dominant, aber Assoziationen an Landschaften und kosmische Räume sind ebenso erkennbar, wie auch ihr Bildkosmos von Gestalten bevölkert wird, die menschliche Züge tragen, an Tiere oder Pflanzen erinnern. Damit knüpft sie an die Ursprünge der abstrakten Kunst an, die sich stark von Naturphänomenen inspirieren ließ und dabei nicht nur Impulse von den Impressionisten als den bloßen Augenmenschen empfang, sondern auch von den Symbolisten, die sich auf Expeditionen ins Innere begaben. Ich denke mit Blick auf die Gemälde von Mészáros zum Beispiel an die englischen Maler Turner und Whistler mit ihren Nebel- und Meereslandschaften. Aber auch ein unmittelbarer Vorläufer der abstrakten Kunst, der litauische Maler und Komponist Mikalojus Konstantinas Ciurlionis könnte hier genannt werden. Seine gewissermaßen visualisierten Symphonien finden bei Mészáros eine Entsprechung in ihren fließenden, das Bild gänzlich ausfüllenden Formen, die ein volltönendes Brausen und Rauschen zu suggerieren scheinen. Verborgenes, Übersinnliches, Mystisches - bei vielen abstrakten Pionieren, von Kandinsky bis Malewitsch, ist es präsent. Abstraktion ist also mehr wie ein reines Farb- und Formenspiel, sie ist Ausdruck für innere Erlebnisse, wobei die malerischen Mittel durchaus in einem synästhetischen Sinne eingesetzt werden und neben dem Sehsinn auch andere Sinnesorgane angeregt werden. Die für Mészáros wichtigen geistigen Voraussetzungen für ihre Kunst - ihre enge Beziehung zur Anthroposophie und zur Pädagogik der Waldorfschulen, zu Kunsttherapie und Heilpädagogik - kamen auch bei der Entstehung der abstrakten Kunst zum tragen. Die Kunst gewann damit gegenüber früheren Funktionen etwa als religiöses Erziehungsmittel, als Repräsentation der Realität oder deren Analyse aus unterschiedlichen Gesichtspunkten eine große Eigenständigkeit. Das Künstlersubjekt trat ebenso in den Mittelpunkt wie es die grundlegenden Eigenheiten der bildenden Kunst taten, nämlich Farbe und Form als ihre elementaren Ausdrucksmittel auch jenseits vorgefundener Gegenständlichkeit. In den Gemälden von Gloria Mészáros hat die Farbe eindeutig den Vorrang vor der Form. Das überrascht, bedenkt man, dass die Künstlerin, die 1962 in Buenos Aires geboren wurde, dort Bildhauerei studiert hatte und auch nach ihrer Übersiedelung nach Deutschland vor zwanzig Jahren lange Zeit als Bildhauerin tätig war. Es überzeugt jedoch in Bezug auf ihre Absicht, Atmosphäre und innere Bewegung zu erzeugen und den Betrachter in jenseitige Welten zu entführen. Linien und Striche fixieren, machen dingfest, konkretisieren. Farben hingegen rufen Gefühle hervor, lassen Wärme oder Kälte empfinden und deuten einen Raum an, der offen ist und grenzenlos. Figuren wie Engel und Fee, der König die Herde oder die Raubkatze, Dinge wie Maiskolben, Kerzen oder Samenblüte - Benennungen, die sich aus den jeweiligen Bildtiteln von Mészáros ergeben - erscheinen in den Gemälden deshalb nur als Silhuetten, gleichsam als Lichtgestalten, als geträumte Wesen, die nicht real sind, sondern symbolisch, die für etwas stehen, für Eigenschaften, Prinzipien, Vorstellungen. Der Wald im gleichnamigen Bild ist eine Anmutung, die das ursprüngliche Objekt in einen neuen übersinnlichen Bildzusammenhang stellt. Und auch die Genfer Landschaften oder Mondlandschaft nehmen das Bildmotiv zum Anlass für stimmungsvolle Kompositionen, die über das konkrete erlebnis weit hinausführen. Farben sind also in den Gemälden von Gloria Mészáros gleichsam das A und O der Bildwirkung. Meist steht eine einzelne Farbe im Vordergrund: Blau. Oder Rot. Blau ist die Himmelsfarbe, die Farbe der blauen Blume der Romantik, der Sehnsucht und der Treue, lässt an Wind und Wasser erinnern, an Schlaf und Traum, an Geisterhaftes und Erahntes. Es verbindet sich mit Melancholie uned Entrücktheit, mit Kühle und Sanftmut. Ganz anders das Rot: Blut und Feuer stehen ihm nahe. Es brennt und verzehrt, entflammt und belebt, weckt Leidenschaften und macht Mut, verbindet sich mit Liebe und Hass, ist erdgebunden und heiß. Auch die Farbe Gelb als Synonym für Licht, Wärme und Geist kommt häufiger gleichsam tongebend vor. Doch die drei genannten Farben tauchen bei Gloria Mészáros kaum in Reinform auf. In vielen Abstufungen und Variationen ergeben sie, miteinander vermischt und mit Weiß gehöht, die verschiedensten Grün-, Orange- und Violett-Töne, wobei das Helle und Lichte über das Dunkle Trübe überwiegt. Aus der Farbe bildet sich in den Gemälden von Gloria Mészáros die Form. Formen der Bewegung, verbunden mit Leichtigkeit, ja Schwerelosigkeit: Wellen- und Flammenformen, Nebel- und Wolkenformen, Formen die zu Lichtkörpern werden - so der Titel eines Bildes - oder als Schleierlandschaft auftreten. Formen, die in ihrem rhytmischen Erscheinen musikalische Vorstellungen hervorrufen, an Sphärenmusik, aber auch an Tanz denken lassen. Dazu bedarf es gar nicht erst der Hinweise auf einzelne Gemälde, in denen bildlich direkt oder in abstrakter Form und nur vom Titel her erkennbar der Bezug vorhanden ist: ich denke zum Beispiel an "Die Singenden" oder "In deiner Musik bin ich" und -konkreter noch- an "Tango" das wie das zuvor genannte Bild eine der Arbeiten auf Papier darstellt. Farben, Formen, Rhytmen - sie alle verkörpern in den Gemälden von Gloria Mészáros Gefühle: Gefühle der Sehnsucht nach Liebe, Ruhe und Klarheit verbunden mit der Hoffnung nach Einsehen und Verständnis in die Geschicke des Lebens. Die Auferstehung der Gefühle nennt sich ein Gemälde, Mandala der Liebe ein anderes. Nicht einfach ist dieser Weg, und es bedarf großen Mutes. In einem ihrer Gedichte aus dem Tagebuch schreibt Gloria Mészáros: "Alleine schreitend / Ohne Wegweiser / Eigenes Licht leuchtend / Die Begegnungen / Sind trennend / Ich weine / Verzweifle nicht mehr / Ich gebäre die Kraft / Die mich trägt / Ich erfahre / Die Welt". Die Suche nach Liebe beschränkt sich nicht auf einen einzelnen oder Menschen schlechthin, sie richtet sich auch auf ein höheres Wesen. Die Erfahrung der Welt, von der die Künstlerin in den zitierten Zeilen spricht, lässt auch jenseitige Welten schon ahnen. "Im nächsten Leben" lautet der Titel eines Gemäldes, in dem die Überführung von der physischen in eine spirituelle Welt angedeutet ist, so weit dies mit den Mitteln der Malerei überhaupt möglich ist. Man meint etwas Beschwingtes und Heiteres zu spüren, ein Schweben und Freisein, eine Auflösung von Raum und Zeit, ein den Rahmen überflutendes Gefühl des Allumfassenden und nicht Endenden. Neben den Gemälden stellt Gloria Mészáros in zwei Wandvitrinen auch Werke aus, die sie Kleinodien nennt. Wie ich schon erwähnte, sind diese kleinen plastischen Arbeiten ein Hinweis darauf, dass die Künstlerin ursprünglich fast ausschließlich als Bildhauerin gearbeitet hat. Das Verbindende zur Malerei liegt in den abstrahierten, naturnahen Formen. Die gerundeten Konturen und die Geschlossenheit der Form verwandeln die Werke in Verbund mit dem Gewicht in Handschmeichler, deren ästhetische Qualitäten sich im Ertasten im besonderen Maße erschließen. Auch hier wieder werden, wie in den malerischen Arbeiten, verschiedene Sinne angesprochen - und natürlich auch - wie soll es anders sein: die Phantasie. Berlin, 9.Juni 2005Michael Nungesser |
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